Die Ölförderprognose des World Energy Outlook 2013: Wichtige Passagen erst zusammengestellt und dann seziert. Sieh Dir an, was übrig bleibt.
Die Internationale Energie Agentur gibt regelmäßig einen Ausblick auf die Energieversorgung der Welt heraus, den World Energy Outlook (WEO). Der WEO findet auch in der Presse Wiederhall, zumindest was die Zusammenfassungen angeht. In der Peak-Oil-Szene wird der WEO sehr kritisch betrachtet und mehr als Stimmungsmache eingeordnet. Ich habe mir den WEO 2013 angesehen. Dies sind meine (MR) Eindrücke:
Bezugsquelle der WEOs: OECD iLibrary. Zugang beispielsweise über die Universitätsbibliothek Marburg.
A) Die Grundaussage zur Ölversorgung der kommenden Jahrzehnte ist laut IEA 2013 folgende (S. 71):
Ãœbersetzung
Die verbleibenden Energieressourcen der Weld werden das vorhergesagte Nachfragewachstum nach Energie bis 2035 und ein ganzes Stück darüber hinaus nicht beschränken. Es ist jedoch zu beachten: Die Höhe der Investitionen, die notwendig ist, um die Ressourcen auszubeuten, ist riesig und es gibt eine ganze Reihe von Faktoren, die das genaue Tempo bestimmen, …
B) Stellt sich die Frage, woher das Öl kommen soll. Hier die Antwort (S. 73):
Ãœbersetzung
In der nächsten Dekade wird ein Großteil des Nettowachstums der Ölnachfrage von nicht-OPEC Angebot gedeckt, speziell zu nennen sind das LTO (Tight Oil) in Nordamerika (im Wesentlichen die Vereinigten Staaten), kanadische Ölsande und Unter-Salz-Tiefseeöl aus Brasilien. Die Vereinigten Staaten werden der größte Ölproduzent der Welt (Rohöl plus NGLs) 2015; diesen Status behalten sie bis zu Beginn der 2030er. Alleine Brasilien deckt mehr als 1 Drittel des Nettowachstums der Ölnachfrage – es wächst damit mehr als das Doppelte des Zuwachses in den Vereinigten Staaten – und wird eine Nettoexporteur 2015. Die Ölproduktion geht in einigen Regionen zurück, von denen Russland, die EU und China die größten Rückgänge sehen werden.
C) Bevor es weiter mit der Suche nach dem Haar(haufen) in der Suppe geht, steht ein Zitat, dass auf einen interessanten Aspekt der Ölindustrie aufmerksam macht (S.75). Die Raffinerien stehen vor großen Herausforderungen:
Ãœbersetzung
Der weltweite Raffineriesektor steht vor großen Herausforderungen: Diese kommen von den sich verändernden Vorprodukten, einer Nachfrage nach anderen Produkten und eine geografische Verlagerung der Nachfrage weg von der OECD hin zu Asien und dem Mittleren Osten.
D) Im nächsten Zitat gibt die IEA Einblicke in ihre Prognose der Förderkostenentwicklung (S. 427). Sie erwartet, dass Öl auch in Zukunft billig gefördert werden kann:
Ãœbersetzung
Andererseits legt eine Untersuchungsweise, die von der USGS verwendet wird und die im Wesentlichen darauf beruht, Analogien zu schon produzierenden Reservoiren zu ziehen, nahe, dass ein großer Teil des Volumens, das den Kategorien noch unentdeckt und Reservewachstum zugeordnet wird, ohne größere Änderungen im Preis oder der Technologie gefördert werden könnten. Wie auch immer, falls die Ölpreise im Laufe der Zeit steigen, dann liegt das nicht daran, dass billiger zu produzierendes Öl knapp ist, sondern daran, dass die Kapazitäten zur Ausweitung der Ölproduktion im Verhältnis zum Nachfragewachstum begrenzt sind (in einigen Ländern wegen der nationalen Politik, insgesamt, weil nicht genug Fachkräfte vorhanden sind).
E) Die Anzahl der Ölfunde hat sich stabilisiert (S. 429):
Ãœbersetzung
Sowohl das jährlich entdeckte Volumen als auch die durchschnittliche Feldgröße der Ölfunde hat sich in den letzten zehn Jahren stabilisert. Diese Entwicklung kann zum großen Teil den höheren Ölpreisen und den technologischen Fortschritten angerechnet werden, die nun den Zugang zu Tiefsee- und Unter-Salz-Gebieten ermöglichen.
F) Allein Saudi Arabien kann die Grundversorgung für die nächsten Jahrzehnte sicherstellen (S. 484):
Ãœbersetzung
Saudi Arabien ist der weltgrößte Ölproduzente und besitzt die größten konventionellen Ölreserven der Welt. Sie sind groß genug, um eine Produktion auf hohem Niveau für Jahrzehnte zu erlauben.
G) Öl im Überfluss für 128$/Barrel oder auch weniger (S. 489):
Ãœbersetzung
Mit Blick auf das rasante Wachstum der Light Tight Oil Produktion in den Vereinigten Staaten: Diese Entwicklung ist der Beginn einer neuen Ära reichen Angebots, was die Möglichkeit erhöht, das der Markt in der Praxis ins Gleichgewicht mit einem kleinere Ölpreis gebracht werden könnte, als wir im New-Policies-Szenario prognostiziert haben (in dem der Preis allmählich 128$/Barrel erreicht).
H) Es gibt auch Risiken: Es könnte nicht genug investiert werden angesichts des Förderrückgangs der existierenden Felder (S. 489f):
Ãœbersetzung
Aber es gibt auch Gründe, das Angebot vorsichtiger zu prognostizieren. Obwohl die Ressourcenbasis mehr als ausreicht, um eine optimistische Vorausschau der Förderung zu rechtfertigen: günstige Investitionen mit geringem Risiko sind begrenzt, und es bleibt eine gewaltige Aufgabe, neue Investitionen in einem Tempo zu mobilisieren, das ausreicht, um den Förderrückgang der existierenden Ölfelder auszugleichen.
I) Risiken in einigen Schlüsselförderländern: Brasilien, Irak und Kasachstan (S. 490):
Ãœbersetzung
Wir sehen Risiken in einigen Schlüsselförderländern. (…) Die Herausforderungen an die Technologie und an die Investitionen in den Unter-Salz-Feldern Braziliens sind beachtlich; auch bei unserer konservativeren Betrachtungsweise verglichen mit der Betrachtungsweise von Petrobas und der brasilianischen Regierung, bleibt die Möglichkeit, dass sich die Projektumsetzung verzögert.
K) In der folgenden Abbildung ist die Ölnachfrageprognose der IEA im New-Policy-Szenario eingezeichnet und aus welcher Art das Öl ist, mit dem die Nachfrage gedeckt werden soll. Die gestrichelte Linie ist unser Status-quo-Szenario (Wachstum von 1,5%). Die gepunktete Linie gibt das current-policy-Szenario der IEA wieder.
Daten: IEA, World Energy Outlook 2013, S. 471. Erhebungsweise uns (noch?) unbekannt.
Zwischenfazit
Wir stehen erst am Anfang des Ölzeitalters, oder?
Gibt es die günstigen Ersatzfelder?
Die IEA betont an mehreren Stellen im WEO, dass es genügend Reserven gibt, aus denen Öl billig gefördert werden kann (vgl. Zitat A und D). Allein ausreichend Investitionen seien dafür notwendig. Wie aber steht dazu die folgende Aussage aus Zitat G: “[…] als wir im New-Policies-Szenario prognostiziert haben (in dem der Preis allmählich 128$/Barrel erreicht).” 128$ ist deutlich höher, als der übliche Preis bisher. Zur Zeit (Juni 2014) liegt er bei etwa 100$. Er war bis jetzt nur einmal höher als 130$: Kurz vor der Finanzkrise 2007. Früher lag er selten über 30$. Die IEA redet von billiger Förderung, reichlich Angebot und einem deutlich höheren Preis! (Von dem höheren Preis allerdings nur in Klammern und gleich mit der Aussage, dass es auch denkbar ist, dass er auch niedriger sein könnte.) Wie passt das zusammen?
Interessant ist, dass an den Stellen, an denen das WEO konkret neue Projekte beschreibt, immer von Projekten die Rede ist, die deutlich teurer in der Förderung sind, als die konventionellen Ölfelder bisher: Tight Oil, Tiefseeöl und Teersande (Zitate E, G, I. Siehe zu den Förderkosten WEO 2013 zu Reserven). Warum werden keine Projekte genannt, die wie versprochen so billig zu fördern sind wie die bestehenden konventionellen Felder? Gibt es diese Projekte vielleicht gar nicht? Zu den teuren Feldern passt jedenfalls der hohe prognostizierte Preis von 128$.
Die offene Frage nach den günstigen Ölfeldern ist insofern bedenklich, als nicht nur neue Felder für angestrebtes Wachstum gefunden werden müssen, sondern in den nächsten 15 Jahren bis 2013 muss auch etwa die Hälfte der rückläufigen konventionellen Förderung ersetzt werden. Ich habe im WEO dazu folgende Hinweise gefunden:
Der Ausgleich des Förderrückgangs bestehender Felder wird nicht erläutert. Das Thema Förderrückgang wird sogar in aller Deutlichkeit dargestellt, aber ein Hinweis auf den Ersatz fehlt. Den einzigen Hinweis, den ich gefunden habe, ist in obiger Abbildung zur Förderprognose enthalten. Der Rückgang wird ersetzt durch fields yet to be developed (zu entwickelnde Felder) und fields yet to find (zu findende Felder). Da erinnere ich mich an die Reserven-Abbildung des WEO, in der gigantische Reserven dargestellt werden. Wie kann es sein, dass angesichts der gigantischen Reserven, die außerdem billig in der Produktion sein sollen, bereits bis 2035 neue Funde notwendig sein sollen? Das kann wohl nur heißen: Die “Reserven” der WEO beinhalten auch Ölfelder, von denen nur angenommen wird, dass sie existieren könnten. Es handelt sich nicht oder nur teilweise um Felder, die bereits gefunden worden sind. – Das führt zu zusätzlichen Prognoserisiken und eben auch Erschließungsrisiken, auf die durchaus hingewiesen werden kann, wie ich finde.
Transparente Reservedaten! Dann könnte ich auch nachvollziehen, warum und in welcher Höhe in der Abbildung der Förderprognose auf noch zu findende Felder gesetzt wird.
Im WEO wird nicht über mögliche Ersatzfelder gesprochen, aber über Ölfelder, die das prognostizierte Nettowachstum abdecken sollen. Größenvergleich: Das Nettowachstum im dargestellten Szenario beträgt etwa 10 Mrd Barrel /Jahr, der notwendige Ersatz etwa 40 Mrd Barrel / Jahr. Die Erläuterung nur des kleineren Postens ist für mich methodisch unter der Vorgabe einer umfassenden Themadarstellung nicht nachzuvollziehen.
Fragen werfen auch die Ölfelder auf, die dann genannt werden, um das Nettowachstum abzudecken (Zitat B, I): Tight Oil aus den Vereinigten Staaten, Teersande aus Kanada und Unter-Salz-Tiefseeöl aus Braslien (wiki: pre-salt layer). Wieso werden nicht zunächst die günstigen Ölfelder entwickelt, von denen es doch so viele noch geben soll?
Die Zeit des billigen Öls ist vorbei – wo bleibt die Preiswarnung?
Der WEO geht, wie eben erläutert, in dem von ihm favorisierten New-Policy-Szenario von einem langsamen Anstieg des Ölpreises auf 128$ aus. Höher war der Preis bisher nur kurz vor dem Crash 2007. Es stellt sich also die Frage, ob oder wie ein solcher Preis von der Wirtschaft verkraftet werden kann. Es handelt sich daher um eine für die Akteure in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft wichtige Information. Wie wird sie präsentiert? In Klammern auf Seite 489.
Stilistische Kritik
Wozu dienen Sätze, wie der unter G) zitierte: “Mit Blick auf das rasante Wachstum der Light Tight Oil Produktion in den Vereinigten Staaten: Diese Entwicklung ist der Beginn einer neuen Ära reichen Angebots, […]“. Ich schaue mir die obige Abbildung zur Prognose des Förderverlaufs an. Da gibt es eine grüne Linie. Diese Linie bildet eine optimistische Prognose der Light Tight Oil Produktion ab. Das Öl hinter diese Linie soll eine neue Ära reichen Angebots einläuten?
Ich weiß auch nicht, warum in Zitat F) suggeriert wird, dass allein Saudi Arabien die Ölversorgung der Welt garantieren könne. Sie haben viel Öl und geben die Reserven mit 266 Mrd. Barrel an. Sie fördern derzeit etwa 4 Mrd Barrel / Jahr. Auf dem Niveau können sie in der Tat Jahrzehnte fördern. Nur wenn sie die Welt alleine versorgen müssten, wäre nach 7 Jahren Schluss. Hinzu kommt die Frage, ob sie in der Lage sind, die Förderung hoch zu fahren. In letzter Zeit gab es Zeichen, die von einigen Beobachtern so gedeutet worden sind, dass dem nicht so ist. Warum also dieser plakative Satz?
Ich plädiere auch dafür, den WEO günstiger zugänglich zu machen. Er kostet momentan ca. 100€. Für viele Journalisten, Politiker und Ölinteressierte dürfte dieser Preis zu teuer sein. In die Diskussion kommen daher nur die öffentlich zugänglichen Zusammenfassungen. Eine sachbezogene Auseinandersetzung mit dem Thema und mit dem WEO wird damit erschwert.
Fazit
Die Förderkosten steigen zumindest in der nächsten Zeit auf 80$ an. Der prognostizierte Preis von 128$ erscheint vor dem Hintergrund nachvollziehbar. Die Zeit des billigen Öls ist auch laut IEA vorbei.
Im WEO wird deutlich behauptet, dass es viele Ölreserven gibt, die auch billig in der Produktion seien. Es werden allerdings kaum neue Felder benannt und wenn Felder benannt werden, sind es Tiefseefelder, Tight Oil oder Teersande, die deutlich teurer als das konventionelle Öl sind. Warum nun auf einmal zuerst die teuren Felder erschlossen werden, dazu kein Wort.
Diese Hinweise auf einen deutlichen Wandel unserer Ölversorgung ergeben sich aus einer genaueren Betrachtung der IEA Angaben selbst. Und doch wird beim Überfliegen des Textes der Eindruck eines Zeitalters des reichlichen und billigen Öls erweckt. Ich schließe mich daher der Auffassung an, dass der WEO-Bericht in erste Linie der Mache einer Meinung dient, die sich mehr an Wunschvorstellungen orientiert als an dem Wunsch, Handlungsmöglichkeiten realitätsbezogen und umfassend zu beschreiben.
Links
Danny Hannan: The Ultimate Energy Paradigm Shift (Figure 4)
(Blog: cyclist action movement west (camwest)
Die Vorhersagen im WEO sind wohl in den letzten Jahren chronisch zu hoch.
Studie der Energy Watch Group (EWG) 2013
In der englischen Fassung werden auf den Seiten 56-63 Vorhersagen des WEO 2012 besprochen, auch mit Bezügen zu vorangehenden WEOs.
IEA: Irrationale Szenarien für die Photovoltaik (EWG 2015)
Ein deutliches Beispiel dafür, dass es bei der IEA nicht um solide Aufbereitung der weltweiten Energielage geht. Solche Prognosen von der Internationalen Energieagentur, die die Länder der Welt eingerichtet haben, um ihre Regierungen zu beraten? Zeit für einen Wechsel.
“Wie auch immer, falls die Ölpreise im Laufe der Zeit steigen, dann liegt das nicht daran, dass billiger zu produzierendes Öl knapp ist, sondern daran, dass die Kapazitäten zur Ausweitung der Ölproduktion im Verhältnis zum Nachfragewachstum begrenzt sind (in einigen Ländern wegen der nationalen Politik, insgesamt, weil nicht genug Fachkräfte vorhanden sind).”
Man sage mir nur, wie ich das eine vom andren unterscheiden kann!
Der Verfasser (nicht sein Übersetzer) dieser Zeilen bekommt von mir den Preis Schönredner des Jahres ;-). Ich schiebe dieses Sprach(-kunst-)stück einmal in einen andren Kontext:
Wie auch immer, falls hin und wieder Menschen verhungern, dann liegt das nicht daran, dass billige zu produzierende Nahrung knapp ist, sondern daran, dass die Kapazitäten zur Ausweitung der Nahrungsproduktion im Verhältnis zum Nachfragewachstum begrenzt sind (in einigen Ländern wegen der nationalen Politik, insgesamt, weil nicht genug Fachkräfte vorhanden sind).